LOVTamtam im Praxistest. Endlich war es soweit!
Es war aufregend. Es war ungewohnt. Und es war toll.
Aber mal von Anfang an.
Eigentlich war schon alles mit dem Leiter der Flüchtlingsunterkunft grob abgesprochen. Ich überlege mir, was ich machen will, schicke den Termin und eine kurze Beschreibung, und dann kann es auch schon los gehen. Denkt man auch. Aber dann hat es doch ein wenig gebraucht meinen inneren Schweinehund zu überwinden. Ich glaube irgendwo in mir drin steckte er und hatte Angst zu sehr in dieses schwierige Thema involviert zu werden. Klar, wir hatten schon Sachen gespendet, wir sind schon oft am Flüchtlingsheim vorbei gefahren, aber wenn man dann da ist und drin ist, weiß man, dass man das Thema eben nicht mehr so schnell abschütteln kann als wenn man nur mit dem Auto vorbei fährt. Ja, da hatte mein kleiner Schweinehund schon recht. Ich habe ihn einfach ausgetrickst. Ich habe Lieferanten von mir gefragt, ob sie mir eine Spende für meine Aktion zur Verfügung stellen. Und als der erste dann zugesagt hat und die Lieferung auch noch bei mir eingetroffen war, ja – da war es soweit. Der innere Schweinehund hatte nix mehr zu sagen. Die Aktion musste durchgezogen werden. Mir war ja schon längst klar, dass ich auf jeden Fall was machen würde, aber irgendwo im Hinterstübchen steckte dann doch noch eine kleine Angst, dass man vielleicht mit der Situation überfordert sein könnte. Auf wen trifft man? Sind die Kinder offensichtlich verletzt oder traumatisiert? Kann man kommunizieren? Und lässt einen das Erlebte wieder los? Wie geht es einem selbst wenn man anschliessend wieder zu Hause ist? Und bringt das überhaupt was, wenn man nicht regelmäßig jede Woche kommen kann und mit den Kindern basteln?
Ja. Das bringt was. Sicher gibt es Helfer, die Zeit haben jede Woche zu kommen. Menschen, die die Kinder kennen und zu denen sie Vertrauen aufbauen. Aber auch bei meiner unserer Aktion [meine grosse Tochter war ganz großartig und hat mir super geholfen] habe ich so viele strahlende Kinderaugen gesehen, dass ich denke, es war zwar nur ein Tropfen auf den heissen Stein, aber jeder Tropfen hilft und viele Tropfen ergeben auch einen starken Fluß.
Soll ich euch erzählen, wie es abgelaufen ist? Ich machs mal. Vielleicht hilft es anderen den ersten Schritt zu machen. Ich weiß, dass bei einigen die Hemmschwelle doch groß ist.
// Planung
Wichtig ist, dass ihr euch mit der Leitung der Einrichtung absprecht. Sagt was ihr plant, wann ihr es plant und für wie viele Kinder/ Erwachsene das Angebot sein soll. Bei so einem Vorgespräch kann man auch gut klären welche räumlichen Möglichkeiten es gibt. „Mein“ Flüchtlingsheim wird von sehr netten und engagierten Mitarbeitern der Johanniter geleitet, die sehr offen für Angebote sind. Vielleicht ist das Verfahren in anderen Einrichtungen etwas komplizierter.
// Vorbereitung
Der Termin steht, das Thema auch? Dann bereitet euch gut vor. Bringt am besten alles Material und Werkzeuge die ihr braucht auch selber mit. Wenn’s los geht, kann man sich nicht mehr auf die Suche nach einer Schere oder sonstigen Kleinigkeiten begeben. Ich habe die Webrahmen fertig bespannt, das Garn auf kleine Knäuel gewickelt, Streichholzschachtelwebrahmen und Loom-Bänder eingepackt damit viele Kinder gleichzeitig loslegen konnten und keine langen Wartezeiten entstehen. Ob ihr nachher 10 oder 30 oder 50 Kinder vor euch stehen habt, ist gerade in den Erstaufnahmelagern schwer vorherzusehen, weil die Belegung ständig wechselt.
// Unterstützung
Ich kann euch nur empfehlen 1 oder 2 Mitstreiter mitzunehmen. Erstens senkt das die Hemmschwelle für einen selber und zweitens gibt es so ein paar Hände mehr, die Sachen zeigen können – man kann ja nicht mit Worten erklären – da kann man nur durch Vormachen erklären.
Meine Unterstützung war ganz großartig! Es war meine fast 12-jährige Tochter, die sich gleich bereit erklärt hatte mir bei meiner Aktion zu helfen. Und das hat auch wirklich gut funktioniert. Sie hat das ganz toll gemacht und war sehr stolz als ihr einer der Jungen aus der Gruppe zum Abschluss ein selbst gemachtes Armband geschenkt hat.
// Kinder als Helfer
Wie gesagt war meine 12-Jährige dabei. Eigentlich wollte auch meine 9-jährige Tochter mitkommen, sie hat es sich aber noch an dem Morgen anders überlegt und gefragt, ob sie sich lieber mit einer Freundin treffen kann. Und zwar nicht aus dem Grund, dass sie nicht helfen wollte, sondern weil sie Angst hatte überfordert zu sein und unsicher was sie in dieser Situation erwarten würde. Sie hatte sich nämlich sehr viele Gedanken gemacht seit wir über diese Aktion gesprochen hatten und die Kinder zugesagt hatten, mitzukommen und mir zu helfen. Sie als Kind hat genau die Fragen formuliert, die uns wahrscheinlich allen im Kopf rumgeistern, die wir darüber nachdenken zu helfen: gibt es dort „offensichtlich“ verletzte Kinder ohne Beine ohne Arme oder mit Verbänden? Gibt es traumatisierte Kinder (ihre Lehrerin hat davon erzählt, dass sie mal zwei Flüchtlingskinder in der Klasse hatte, die sich bei jedem Geräusch unterm Tisch versteckt haben) die eventuell auch Angst vor uns haben könnten? Wie soll ich mich verständigen? Ich spreche doch nicht die gleiche Sprache?
Da ich selber vorher noch keine Aktion gemacht hatte, konnte ich ihr dazu keine Auskunft geben und fand es sehr schlau und überlegt von ihr an diesem Tag erst mal nicht mitzukommen.
// Arbeitsbedingungen
Ich nenne es mal Arbeitsbedingungen. Stellt euch darauf ein, dass sehr viele Menschen auf sehr engem Raum wohnen. Egal wie viel Mühe sich die Betreiber geben, die Bedingungen sind nicht wie zu Hause. Der Duft der von den Toiletten rüberzog ist nichts für überempfindliche Nasen. Ein Gebäude, das als Bürogebäude konzipiert ist, hat keine Toilettenanlagen, die für die Nutzung von Hunderten dort wohnenden Menschen ausgelegt ist. (Und jetzt erzählt mir nichts von Toiletten. Ich war jahrelang in der Elternpflegschaft unserer Schule und ich weiß welche Probleme es schon dort mit den Toiletten gibt. Und die Kinder wohnen da ja nicht mal sondern verbringen nur einige Stunden dort.)
// Durchführung
Ja, und dann geht es einfach los! Eine Mitarbeiter der Einrichtung hat die Kinder zusammen gesammelt und wir sind gestartet. Erst haben sich die Kinder um eine andere Ehrenamtliche geschart, die sie schon kannten und meine Tochter und ich haben einfach mal angefangen zu weben. Und nach einiger Zeit scharten sich die Kinder auch um uns. Aus meiner Erfahrung sind es die Kinder gewohnt sich sehr selbständig zu beschäftigen und probieren einfach aus. Da man auf Grund der verschiedenen Sprachen schlecht miteinander reden kann, stellt euch darauf ein, dass euch die Kinder einfach anstupsen oder piksen um auf sich aufmerksam zu machen wenn sie „Fragen“ haben.
// mein Resumee
Die Aktion hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich habe strahlende Kinderaugen gesehen auch wenn es nur ein kleiner Beitrag von mir war. Ich werde es sicher nicht jede Woche schaffen, aber ich werde sicher wieder kommen. Und auch meine Tochter hat einiges mitgenommen diesen Tag. Sie hat gesehen, dass Leben auch anders sein kann. Und dass es Spaß macht anderen zu helfen und anderen Dinge zu erklären. Was für ein großartiger Tag! Seitdem sind mir diese Stunden noch oft durch den Kopf gegangen. Man fragt sich, was diese Kinder für eine Geschichte hinter sich haben, aber wahrscheinlich ist es gut, dass man gar nicht zu viel weiß und ihnen einfach unbefangen gegenüber treten kann. Einfach als Kinder und nicht als Flüchtlingskinder mit dramatischer Vergangenheit. Den Teil diese Probleme zu bearbeiten, muss ich anderen überlassen. Dabei zu helfen steht nicht in meiner Macht. Ein wenig Freude verbreiten – das kann aber jeder von uns.
So viel Text gibt es bei mir sonst selten, ich weiß. Aber ich will den Kindern natürlich ihre Privatsphäre lassen, darum gibt es nur wenige und zum Teil verhuschte Bilder.
Danke noch mal an die Firma Hoooked, die mir Material für diese Aktion zur Verfügung gestellt hat. Die daraus entstandenen Klapperschlagen bewacht jetzt die Kinder im Flüchtlingsheim.
So geht es weiter mit #LOVTamtam. Wie wäre es, wenn ihr euch einfach eines der Projekte aussucht und gleich heute einen Termin ausmacht? Keine Angst. Ihr schafft das.
Liebe Grüße.
– Anja –
PS: Und wenn ihr es aus welchen Gründen auch immer doch nicht schafft zu helfen, schaut mal vorbei bei #bloggerfuerfluechtlinge. Da gibt es auch eine Möglichkeit zu spenden.